Vom Lesen und Schreiben

© 2016 Friedrich Haugg

Ich habe gerade die Vorteile des Interview - Stils entdeckt. Kurze Überschriften, da weiß man gleich was kommt. Und man kann es überspringen. Praktisch in der heutigen Zeit. Jetzt mach' ich erst mal alles so...

Hast du einen gewissen Anspruch an einen Text?

Aber ja. Ein ganz Großer hat ihn formuliert:

'Ein Eisberg bewegt sich darum so anmutig, weil sich nur ein Achtel von ihm über Wasser befindet.'

Ist von Hemingway. Gut, nicht? Das ist geradezu eine Anweisung zum Schreiben.

Aber das ist doch nichts Neues. 'In der Kürze liegt die Würze.' Oder wie der moderne Manager seinem Untertanen sagt: 'Keep it short and simple.'

Das ist eben das große Missverständnis. Der Manager meint: Weglassen. Alles was nicht direkt zum Ziel führt ist unwichtig, verwirrt nur und bietet Angriffspunkte. Hemingway meint etwas anderes: Fordere den Leser, mache es ihm nicht einfach, über deinen Text hinwegzulesen. Überrasche ihn, damit er anfängt nachzudenken, auch über sich selbst. Hemingway gelingt das nahezu perfekt, auch wenn er gerade nicht 'in' ist.

Was glaubst du denn, ist 'in'?

Mir fällt auf, dass Bücher, auch von unbekannten Autoren, schnell in die Bestsellerliste des Spiegel kommen und auch schnell wieder verschwinden. Es sind meist Thriller, Beziehungsromane für die weiblichen Leser oder Lokalkrimis. Das erinnert mich an die Marketing - Strategie der Musikbranche: Ich picke mir einen heraus, der äußerlich etwas hermacht, den man leicht 'hypen' kann, fokusiere den Umsatz auf diesen 'Künstler', beobachte genau, wann der Hype abebbt und bringe den Nächsten. Schlau, diese Taktik, immer Riesengewinne, ohne dass man einen wirklichen Könner benötigt.
Was ich aber vor allem befürchte: Bücher werden immer weniger gelesen. Keiner nimmt sich die Zeit, bei einer Sache länger zu verweilen. Man könnte ja ein Unterhaltungsangebot verpassen. Das ist der Erfolg von youTube: Ein Krokodil, das über den Golfplatz schreitet, ein Tiger, der mit einer Ziege zusammmenlebt und am besten: Irgendwelche Ungeschicklichkeiten von Menschen, die sich damit lächerlich machen. Hauptsache, es unterhält mich und lässt mich schnell wieder frei für die nächste Zerstreuung.

Ja schon. Aber was schadet es? Kann ja ganz amüsant sein und Lachen ist gesund, gerade in der heutigen Welt, die größtenteils beängstigend ist, oder?

Mag sein. Nur wenn ein Mensch seine Zeit mit diesem Blödsinn verbringt, dann vergeudet er sie wirklich. Ich habe noch ein Zitat:

'Die Gesellschaft spaltet sich in eine technokratische Elite und eine große Masse, die sich mit mehrheitlich unqualifizierten Jobs über Wasser hält und mit billiger Unterhaltung ruhiggestellt wird.' (Gottlieb Duttweiler Institut über die vernetzte Gesellschaft)

Das wird zu einem richtigen Problem. Die Bildung diffundiert ins Nichts. Bildung ist anstrengend, nur teilweise interessant und selten zum Lachen. Menschen ohne gute Bildung sind besonders leicht manipulierbar. Ich meine Bildung, nicht die WWM - Fragen bei Jauch. Und schon gar nicht, das bodenlose Fernsehprogramm für bodenlose Schwachköpfe der sogenannten privaten Sender. Da ist das Dummhalten der Menschen Programm. Man könnte fast eine Absicht dahinter vermuten,vereinfacht: Konsumieren nach Vorschrift, bloss keine Zeit zum Nachdenken lassen.

Das klingt ganz schön pessimistisch, ja geradezu defätistisch. Bist du ein Pessimist?

Ja, geworden. Meine erwachsene Jugend habe ich in den siebziger Jahren erlebt. Da war Aufbruchstimmung. Alles schien besser zu werden, friedlicher, freundlicher, toleranter. Leider gehört gerade zu diesen schönen Attributen Bildung, Bildung, Bildung. Reisen zum Beispiel bildet. Aber so, wie wir das gemacht haben. Da war ein anderes Land tatsächlich ein anderes Land. Heute ist der Tourist schon sauer, wenn er in Ägypten keine Bratwurst bekommt. Aber das hat sich ja erledigt. Mit Ägypten und so, meine ich.

Bevor wir versinken - nach einer Idee, wie man es besser machen kann, frage ich lieber gar nicht - erzähl noch etwas vom Schreiben und Lesen.

Ach ja, das Schreiben. Reden wir vom Menschen wie du und ich. Es beginnt vor langer Zeit. Ein Blatt weißes Papier. Handschrift. Eine Woche, bis der Brief ankommt und eine weitere für die Antwort. Zeit zum Nachdenken, zum freudigen Erwarten, zum Überlegen, was ich als Nächstes zu Papier bringen will. Dann wurde der Federhalter abgelöst von der Tastatur, die Post durch den Draht. Email ist immerhin noch selbst Geschriebenes, das Antworten asynchron, also immer noch Zeit zum Überlegen. Wenn es zu lange dauert, gilt das höchstens als unhöflich. Jetzt chattet man, oder What's apped man. Tolle Sache, das Letztere gottlob auch noch asynchron. Aber es muss schnell gehen, eingeben gleich Schreiben wie auch das Lesen. Abkürzungen, T9 - Vorschläge, Emoticons, alles Hilfen zur Erhöhung der Geschwindigkeit. Elegante Wortwahl, Rechtschreibung? Lächerliches Relikt der Geschichte. Vorher Nachdenken? Keine Zeit. Besser die Textvorschläge nehmen. Schnell, schnell, schnell und möglichst viele Kontakte, heute im Wortwandel auch Freunde genannt. Das ist der Tod alles Denkens....

Stopp! Nehmen wir einmal an, es gibt sie noch, die Menschen, die lesen. Was würdest du empfehlen oder besser, was liest du eigentlich?

Ehrliche Antwort? Nun gut. Ich fresse alles von Camillieri und Fred Vargas. Sprachlich großartig und Montalbano und Adamsberg mit ihren Kollegen sind einfach hinreißend. Die raffinierte Handlung ist für mich fast nebensächlich. Wenn ich mich an der Sprache ergötzen will, nehme ich einfach den Zauberberg in die Hand, schlage irgendwo auf und genieße die Sprache, Inhalt völlig egal. Interessehalber lese ich auch noch gerne Ken Follett. Daran bin ich aber handwerklich interessiert. Auch Buchheim oder Schätzing interessieren mich aus gleichem Grund. Wenn ich Streß habe und gut schlafen will, nehme ich den guten alten Karl May zur Hand. Du wolltest eine ehrliche Antwort.

Warum denn, um Himmels Willen, ausgerechnet Karl May?

Sprachlich ist er recht problematisch, aber man muss keine Sorge haben, dass Old Shatterhand oder Kara ben Nemsi wirklich etwas Dramatisches passiert. Außerdem bewundere ich ihn, weil er alles ohne Korrektur in einem Fluß hingeschrieben hat. Ein Phänomen. Ich denke aber, der eigentliche Grund ist ein ganz anderer: Karl May versetzt mich zurück in die wohlbehütete Kindheit. Vater spielt Klavier, Mama liest etwas und ich eben Karl May. Bei Schokolade und Milch. Ich sage das nicht gerne, aber ich befürchte, das ist der Grund. Karl May's Rassismus und seine, in christliche Watte gepackte Überheblichkeit, ist genau genommen unerträglich.

Verlassen wir schnell das Tiefenpsychologische. Zauberberg hat mich bei deiner Auswahl überrascht.

Ich gebe dir ein Beispiel:

'So kam der erste August, und glücklich war unter seinen ersten Tagen der Jahrestag von unseres Helden Ankunft bei uns hier oben vorübergeschlüpft. Nur gut, dass er vorüber war - er hatte dem jungen Hans Castorp etwas unglücklich vorgestanden. So war es die Regel. Der Tag der Ankunft war nicht beliebt, es wurde seiner unter den Voll- und Mehrjährigen nicht gedacht, und während doch sonst kein Vorwand zu Festivität und Becherklang unbenutzt blieb, die allgemeinen und großen Betonungen im Jahresrhythmus und -pulslauf durch möglichst viele private und irreguläre vermehrt und Geburtstage, Generaluntersuchungen, bevorstehende wilde und echte Abreisen und dergleichen Anlässe mehr mit Schmaus und Pfropfenknall im Restaurant begangen wurden - widmete man diesem Gedenktage nichts als Stillschweigen, ließ sich darüber hinweggleiten, vergaß auch wohl wirklich, auf ihn zu achten und durfte vertrauen, dass die andern ihn überhaupt nicht so im Sinne hatten. Auf Gliederung hielt man wohl; man beobachtete den Kalender, den Turnus, die äußere Wiederkehr. Aber die Zeit, die sich für den einzelnen mit dem Raum hier oben verband, die persönlich und individuelle Zeit also zu messen und zu zählen war Sache der Kurzfristigen und Anfänger; die Eingesessenen lobten sich in dieser Hinsicht das Ungemessene und Achtlos-Ewige, den Tag, der immer derselbe war, und einer setzte mit Zartgefühl beim anderen einen Wunsch voraus, den er selbst hegte. Es hätte für ganz und gar ungeschickt und brutal gegolten, jemandem zu sagen, heut sei er drei Jahre hier, - das kam nicht vor. Frau Stöhr selbst, so weit es ihr sonst immer fehlen mochte, in diesem Punkt war sie taktfest und abgeschliffen, nie wäre in solcher Verstoß ihr unterlaufen.'

Herrlich, oder?

Gewöhnungsbedürftig, wenn man Twitter kennt.

Weil wir schon dabei sind, ein weiteres Beispiel. Es stammt vom Philosophen Ludwig Klages. Heute vergessen, aber im dritten Reich recht beliebt:

'Wer sich von der Außerzeitlichkeit des Erfassenden und des Erfassens hinlänglich überzeugt hat, für den braucht es keines Beweises mehr für die Außerzeitlichkeit auch des Erfaßbaren oder des Gegenstandes; denn wie möchte wohl ein zeitlich unausgedehnter Akt jemals das zeitliche Fließen erhaschen! Soeben erwogen wir, es könne unmöglich die Zeit sich selber ermitteln; jetzt sehen wir uns zu der merkwürdigen Annahme gedrängt, es könne das ebenso wenig ein Außerzeitliches! Allein hier stoßen wir nicht nur auf gegensinnige Vorurteile, die seit Jahrhunderten eingewurzelt, seit Jahrtausenden vorbereitet sind, sondern scheinen uns auch in einen Widerspruch mit unseren eigenen Voraussetzungen zu verwickeln, insofern es ja gerade das Erfassen der Zeit, also des kontradiktorischen Gegensatzes zur Außerzeitlichkeit, betreffen....

Halt halt. ich versteh' nichts.

Siehst du. Das Beispiel verstehe ich unter schlechter Sprache, verschwurbelt und unverständlich. So ein Buch mit über 1500 Seiten kann man einfach nicht lesen. Das wäre Masochismus.

Ja, ist dann Thomas Mann dein Vorbild?

Ja und nein. Wenn man heute so schriebe, das heißt jetzt 'schreiben würde', bekäme man keine Leser. Aber etwas kann man von ihm lernen: Sich um Stil und Inhalt bemühen aus Respekt vor dem Leser.

Ich habe jetzt einiges verstanden. Aber ich befürchte, dass dir dazu noch vieles einfällt. Deswegen breche ich das jetzt aus Übermüdung ab.

Verständlich, du Twitter- und What's App - Leser. Benutze ich auch, aber nicht, um zu lesen, sondern um nützliche Information weiterzugeben.

Ich werde Dir noch etwas mitgeben. Große Kunst. Wenn Dir das nicht gefällt, kann ich Dir nicht helfen. Bei mir erzeugt diese Stelle jedes Mal Gänsehaut. Sie stammt von Antoine de Saint - Exupéry, nein, nicht aus 'der kleinen Prinz', sondern aus 'Nachtflug'. Wenn Du es gelesen hast, weißt Du, was ich meine.

'Er erhob sich in Spiralen nach und nach in den Schacht, der sich über ihm geöffnet hatte und sich unter ihm wieder schloss. Und die Wolken verloren, je höher er stieg, ihre schmutzige Düsternis, glitten wie immer reinere und weißere Wogen auf ihn zu. Fabien tauchte hervor. Staunen überwältigte ihn: die Helligkeit war so groß, dass es ihn blendete. Er musste für Sekunden die Augen schließen. Er hätte nie zuvor geglaubt, dass Wolken bei Nacht blenden können. Aber der Vollmond und alle Sternbilder verwandelten sie in ein gleißendes Meer. Das Flugzeug war mit einem Schlage, mit der Sekunde, in der es hervortauchte, in eine Stille geraten, die wie ein Wunder erschien. Nicht eine Luftschwankung erhob oder senkte es. Wie eine Barke, die die Mole passiert, glitt es in stille Gewässer. Es schwamm in einem nie gesehenen, verborgenen Teil des Himmels, wie in einer Bucht der Inseln der Seligen. Das Wettergewölk unter ihm war eine andere Welt, dreitausend Meter dick, von Böen, Wasserwirbeln, Blitzen durchrast; aber das Gesicht, das es den Gestirnen zukehrte, war von Kristall und Schnee. Es war Fabien zumute, als sei er in Zaubersphären geraten, denn alles wurde leuchtend, seine Hände, seine Kleider, seine Tragflügel. Denn das Licht kam nicht von den Gestirnen herab, sondern löste sich, unter ihm und rings um ihn her, aus dieser weißen Fülle.

Er irrte unter Sternen umher, dicht gehäuft ringsum wie ein Schatz, in einer Welt, wo nichts, absolut nichts Lebendiges war außer ihm und seinem Kameraden. Gleich jenen Dieben im Märchen, die in der Schatzkammer eingemauert sind, aus der sie nicht wieder herauskommen werden. Unter eisfunkelndem Geschmeide irren sie umher, unermesslich reich, doch verdammt.'