Vom Sehen

© 2019 Friedrich Haugg

So ein wunderschönes Bild. Und diese unglaublichen Farben. Monet war schon einer der Größten.

Das Bild passt aber überhaupt nicht zum Hintergrund dieser Seite. Sowohl im 'Stil' als auch von den Farben. Das macht den schönen Manet völlig zunichte.

Alles gefühlsduseliges Geschwafel. Was wir sehen, ist die Wirklichkeit. Basta. Der Monet hätte sich mehr Mühe geben können. Man erkennt zwar die Seerosen, aber... Vielleicht konnte er es ja auch nicht besser.

Schließlich sagt mir zum Beispiel eine Webcam ganz genau, wie es da ist, wenn ich da hinfahren werde.

Soso. Wir sehen also die Wirklichkeit.

Dann hat der alte Goethe auch nur geschwafelt:

''Und wär das Aug' nicht sonnengleich, die Sonne würd' es nie erblicken.''

Oder der Wissenschaftler Konrad Lorenz: 'Das Gehirn ist nicht dazu da, um die Welt zu erkennen, sondern um sich in ihr zurechtzufinden.'

Was soll das heißen? Wir sehen doch die Welt, wie sie real ist. Es stimmt doch alles, was wir sehen. Sonst würde doch nichts funktionieren. Mein Orangenbäumchen hat grüne Blätter, der Himmel ist blau, der Hügel vor meinem Fenster ist weiter weg als das Nachbarhaus. Und die Bäume auf dem Hügel sind ziemlich hoch. Es sind alte Kiefern.

Fangen wir mit den Farben an: Farben gibt es nicht. In der realen Welt.

Sie haben richtig gelesen. Man weiß heute zwar immer noch nicht, was Licht ist, aber dass es genauso ist wie alle anderen elektromagnetischen Wellen, das wissen wir sicher. Genauso wie Funkwellen oder die Mikrowelle breitet es sich mit der konstanten Lichtgeschwindigkeit aus, ohne etwas Materielles zu benötigen (siehe genauer beim Artikel über die Relativitätstheorie und die Quantentheorie). Jede dieser 'Wellen' unterscheiden sich nur durch die Wellenlänge. Sie transportieren etwas, was die Physiker 'Energie' nennen. Diese Energie kann man zwar nicht sehen, aber spüren (in der Mikrowelle zum Beispiel oder wenn die Sonne warm auf unsere Haut scheint). Unser Auge ist so konstruiert, dass es einen Teilbereich dieser Wellenlängen aufnehmen kann, außerhalb dieses Bereichs 'sieht' es nichts. Das Aufnehmen geschieht so, dass es eine Eigenschaft des Lichts ausnützt, die Brechung heißt und die Konstruktion von Linsen ermöglicht. Die Linse bildet (mehr oder weniger scharf) das Außenbild auf der Netzhaut ab. Dass es auf dem Kopf steht, sollten wir feststellen. Aber das macht nichts, weil das Bild ohnehin erst einmal verarbeitet werden muß.

Das machen sogenannte Rezeptoren auf der Netzhaut. Die reagieren ganz gezielt auf bestimmte Bereiche von Wellenlängen des Lichts und senden die Information an unser Gehirn. Hat die 'Evolution' entwickelt. Haben sie es gemerkt? Von Farben ist bisher noch keine Rede.

Jetzt kommt etwas, was uns nur noch staunen lässt: Unser Gehirn bündelt bestimmte Wellenlängen und versieht sie mit Oberbegriffen, die unser Sprachzentrum noch einmal zusammenfasst unter dem Wort 'Farbe'.

Ganz deutlich: Die Farben entstehen erst im Gehirn. 'Draußen' gibt es sie nicht. Das ist eine großartige Erfindung der Evolution, die es erlaubt, Objekte der Außenwelt viel besser zu unterscheiden (der braune Hase in der grünen Wiese). Aber sie hat einen kleinen Haken: Sie ist subjektiv im wahren Wortsinn. Bienen können offensichtlich auch Ultraviolett sehen, aber wir haben weder eine Vorstellung wie das aussieht, noch einen Namen. UV ist einfach nur eine sachliche Definition für 'etwas kürzere Wellenlänge als sichtbares Licht'. Gleiches gilt für 'Infrarot', IR, mit einer etwas längeren Wellenlänge. Nicht sichtbar, aber spürbar. Noch ein Beispiel: Menschen mit Rot-Grün-Blindheit können Rot und Grün nicht unterscheiden. Menschen, die das nicht haben, können einem Rot-Grün-Blinden aber nicht mitteilen, was Grün oder Rot ist. Genau genommen, können wir nicht einmal wissen, ob ein anderer Mensch die Farben genauso einteilt und benennnt wie wir. Es gibt dafür keine Möglichkeit. Sie können auf etwas deuten und dem Anderen sagen, das ist Pink und er wird nicken und zustimmen. Er wird damti lernen, was 'Pink' ist. Was er aber wirklich sieht, das lässt sich nicht vermitteln.

Dank der Physiker und der Biologen haben wir heute eine genaue Kenntnis, welcher Wellenlänge Rot, Grün, Gelb oder Blau enspricht. Wir wissen auch genau, wie es zu Farbmischungen und damit zu den unterschiedlichsten Tönen kommt. So lange wir alles in Wellenlängen und Amplituden (Stärke des Lichts) ausdrücken, ist das auch absolut objektiv. Messgeräte können alles das, sehr genau und reproduzierbar feststellen.

Hier deutet sich schon das nächste Wunder an, das unser Gehirn hervorgebracht hat. Unser System Auge - Gehirn kann das nämlich nicht objektiv. Die Evolution hat da ein paar Eigenheiten entwickelt, die äußerst subjektiv, aber gleichwohl nützlich sind.

Nehmen wir die Farbe reines Weiß.

Ein ganz erstaunlicher Zufall: Das Licht der Sonne ist reinweiß.

Wie kann das sein? Ganz einfach: Es ist nicht so.

Nicht die Sonne strahlt weißes Licht aus, sondern wir nennen Weiß, was die Sonne ausstrahlt.

So lernen wir, welche Dinge Weiß sind. Neuschnee zum Beispiel. Schnee ist weiß.

Das gilt auch, wenn die Sonne daran gehindert wird, ihr weißes Licht ganz hinunter auf die Erde zu bringen.

Im unteren Teil des Bildes sehen Sie, welche Farben des gerade neu verschneiten Karwendelgebirges in Ihrem Auge wirklich ankommen.

Und Sie lassen sich wegen dieser Eigenschaft auch gehörig täuschen. Der japanische Professor Ayoshi Kitaoka ist ein Meister dieser Art des Betrugs.

Zwei eindrückliche Beispiele:

Klicken Sie auf das Bild und sie werden sehen, dass die Schriften links und rechts genau die selbe Farbe haben.

Wunderschöne, rote Erdbeeren, oder? Klicken sie sich einmal durchs Bild. sie werden staunen.

(Prof. Kitaoka)

Auch die Helligkeit passen wir automatisch den Verhältnissen an. Das können wir nicht vermeiden. Das eindrucksvollste Beispiel ist die sogenannte 'Checker shadow illusion' von Professor Adelsen.

Sie glauben nicht, dass die Fläche unter A objektiv die identische Farbe wie die unter B hat? Klicken sie auf das Bild.

Wir verlassen die Farben, obwohl es noch jede Menge zu sagen gäbe. Kommen wir zum räumlichen Sehen.

In der Renaissance wurde für das Malen und Zeichnen die Perspektive entdeckt. Also die in der Optik leicht zu erklärende Tatsache, dass parallele Linien sich im Unendlichen in einem Punkt treffen oder so ähnlich. Da die Netzhaut zwar gekrümmt ist, aber nur ein 2D - Abbild erhält, verlaufen diese Linien auch auf ihr nicht parallel, sondern würde sich an einem Punkt treffen. Unser Gehirn, wieder einmal, sagt uns, dass das schon seine Richtigkeit hat. Mit dem leicht versetzten Bild unserer zwei Augen kann unser Gehirn echte Räumlichkeit vortäuschen. Das funktioniert bei einem erfahrenen Menschen auch mit einem Auge, weil er genügend gesehen hat, um ihm die Räumichkeiten klar zu machen.

Wenn Linien so aussehen, dann sind sie in der Realität(!) parallel. Ein Zeichner namens Jan de Vries, hat das im Jahre 1604 illustriert.

Und er hat damit darauf hingewiesen, wie sich unser Gehirn auch in diesem Falle täuschen lässt. Die Flächen bei A, B, C und d sind exakt gleich hoch.

Diese Fähigkeit führt auch zu einem Phänomen, das als Mondillusion bekannt ist.

'Geht der schön auf heute und wie riesig er ist. Da muss ich ein Foto machen.'

Die Enttäuschung ist groß, wenn man das Foto dann sieht. Klicken sie auf das Bild. Grund ist, dass unser Gehirn Größe in Relation setzt zu den Gegenständen im Umfeld. Ist der Mond hoch am Himmel, ist der Effekt auch für das Auge verschwunden.

Unser Gehirn weiß auch, was kreisrund ist. Egal, wie der Gegenstand zu sehen ist.

Diese Fähigkeit nennt man Formkonstanz.

Schauen sie auf den Horizont. Dann kippen sie den Kopf mal nach links und dann nach rechts. Was fällt Ihnen auf? Nichts. Der Horizont ist der Horizont. Bedenken Sie aber, dass das Bild auf der Netzhaut ganz anders ankommt. Da ist nämlich alles schief.

Ganz schön kompliziert für unser Gehirn. Es muss die Lage unseres Kopfes kennen und mitberechnen. Keine Ahnung, wie es das macht.


Weil künstlerische Menschen mit ein bisschen Überlegung und Planung es unglaublich gut können, zeige ich Ihnen ein paar verwirrende Beispiele. Man nennt diese Technik 'trompe l'oeuil', Täuschung des Auges.

(Lizenzfrei aus Getty Images)







Und nicht nur das. Professor Kitaoka hat gezeigt, dass man auch Bewegung vortäuschen kann. Besonders eindruckvoll ist dieses Bild. (Allerdings sehen sie den Effekt nicht auf dem senkrechten Mobiltelefon. Das Bild muss eine gewisse Größe haben. Es geht ein bisschen, wenn Sie das Smartphone quer halten.)

(Prof. Kitaoka)

Danke füs Zusehen.



Und das ist alles? Vielleicht nicht. Sehen sie sich doch einmal diese biologische Einheit an, die aus Zellen mit Funktionsteilung besteht und stoffwechselt, sprich frisst und so weiter...

Ein Tier. Säugetier. Klasse Cani. Rasse: Berger des Pyrenees. Jung. Weißes Fell. Dunkle Augen. Reiner Fleichfresser. Gute Sinne, vor allem Auge und Ohr und Geruschssin natürlich. Schläft viel.

Das ist die ganze Beschreibung? Mehr fällt uns nicht ein? Tut es doch: Süß, diese Augen und die schwarze Nase und wie es kuckt. Wahnsinn, sanft und mörderisch zugleich. Grins. Zum Knutschen...