Die Informationsblase oder Echokammer

© 2019 Friedrich Haugg

Auffällig ist sie, die Radikalisierung in letzter Zeit. Und gefährlich ist sie auch. Wer dazu noch in der Lage ist oder wer sich mit Geschichte befasst hat, erinnert sich an das Ende der Weimarer Republik und wie die Gegner der Demokratie ganz demokratisch gewählt wurden und daraufhin die Demokratie abgeschafft haben.

Ist alles Schwarzmalerei? Ich nenne nur Erdogan, Kascinsky und Orban und Trump natürlich und Putin und Xi Jinping nicht zu vergessen. Nach eigener Aussage wollen sie nur das Beste für ihr Volk. Man solle sich doch einmal ansehen, wie kleinkrämerisch, ineffektiv und langweilig die Demokratie abläuft. Nichts gebacken kriegen die. Die betrachten die Dinge so lange differenziert, bis sie unkenntlich geworden sind und nur noch ein zäher, stinkender Brei herauskommt. Nicht ganz unrecht haben sie damit.

So leicht wie Hitler es gehabt hat, geht es heute nicht. Dazu haben die Staaten (noch) zu viele Kontrollmechanismen. Aber wenn man das unabhängige Rechtssystem untergräbt, zum Beispiel durch Einsetzen von Gefolgsleuten an den Schlüsselstellen oder wenn man die Medien mit (legalen kaptitalistischen Mechanismen) unter seine Gewalt bringt oder ganz demokratisch Gesetze verabschiedet, die den eigenen Machterhalt sichern, dann liegt der Verdacht nahe, dass diese Leute schon etwas anderes wollen und nur (noch) nicht so recht können. Bis auf Xi, aber 'die Chinesen ticken ja ganz anders'.

Zugegeben, in Deutschland, England oder Frankreich sind die Hürden wesentlich höher. Aber die Gefahr zeigt sich am Horizont. Und man fragt sich zurecht, wie das in unserer aufgeklärten Zeit und nach so einer fatalen Geschichte sein kann? Dabei ist die Antwort - leider - recht einfach.


Ich verfolge den sogenannten Dieselskandal mit großer Aufmerksamkeit. Schließlich war Daimler 25 Jahre mein Brötchengeber und einen Teil meiner Rente zahlen sie auch.

''Händler muß Schummel - Diesel zurücknehmen''. Diese Überschrift in der Bildzeitung bringt mich auf die Palme.

Daimler ist eine großartige Firma, mit großartigen Menschen, die seit vielen Jahrzehnten großartige Autos bauen. Daimler ist ausgesprochen verantwortungsvoll zu seinen Mitarbeiterm, für die gilt: Einmal Daimler, immer Daimler. Eine große Familie. So kenne ich sie.

Der CO2 - Skandal ist vorbei, da muß man doch was Neues finden gegen die ach so mächtige und verantwortungslose Autoindustrie. Ah ja, Feinstaub. Gutes Wort. Klingt irgendwie gefährlich, geradezu hinterhältig. So ähnlich wie radioaktiv. Sieht man nicht, aber bringt einen um. Damit es wissenschaftlicher wirkt, nehmen wir nicht dieses Wort, sondern sagen NO2. Das ist zwar etwas anderes, aber der Vorteil ist, dass der allgemeine Mensch gar nicht weiß, was das ist. Und wenn die Wissenschaftler sagen, dass es gefährlich ist, dann stimmt das schon. Sie haben ja studiert.

Ein paar merkwürdige Gestalten in der EU, die gerade nichts zu tun haben und daher von der täglichen Angst getrieben sind, überflüssig zu werden, stürzen sich auf das Thema. Sie bereiten es gut vor: Die Gesundheit, sogar das Leben ist gefährdet von der bösen Autoindustrie. Sie ist schuld an den täglichen Staus und den unsäglichen Leiden tausender kranker Menschen. Nur wegen des Profits. Sie weigert sich beharrlich, endlich saubere Elektroautos zu bauen. Da machen wir doch einen Grenzwert. Einen möglichst heftigen, einen, von dem wir wissen, dass er kaum erreichbar ist. In Deutschland läuft es dann sowieso wie von selbst: Die Deutsche Umwelthilfe, ein hahnebücherner Verein, dem man das Recht eingeräumt hat zu klagen und dem man auch noch zugestanden hat, die Bußgelder selbst einzustreichen. Sie tun ja Gutes. Geldmangel hat er nicht, der Verein und damit die Manager desselben.

Daimler, wie andere deutsche Automobilbauer sind führend in der Dieseltechnologie. Sie haben Milliarden in saubere Dieseltechnik gesteckt. Das ganze große Werk Untertürkheim mit zig Tausend Menschen lebt vom Bau von Motoren. Toyota hat Jahre lang die Deutsche Umwelthilfe finanziell unterstützt. Sie wollten den Hybrid durchsetzen. Wegen der Mischung aus Elektro- und Verbrennnungsmotor haben sie gute Werte. Diesel bauen sie sowieso nicht. Für Daimler ist der Umstieg auf Elektro ein Riesenproblem. Vor allem Bosch hat die Chance erkannt und bietet mittlerweile die komplette Antriebstechnik von der Batterie bis zum Rad. Was bleibt dann noch für Daimler? Hübsche Karrosserien schmieden, um Fertigbausätze einzuhüllen. Das ist der sichere Tod dieser Industrie.

Die EU-Grenzwerte sind nicht zu erreichen. Daher haben sich findige Köpfe in der Autoindustrie, darunter vor allem Juristen, überlegt, wie man in der Verordnung den Test auf die Grenzwerte interpretieren kann. Sie sind auf die Idee gekommen, im wesentlichen ihre Technik auf die Testprozedur zu optimieren. Mit vielen technischen Tricks war das erreichbar, die Vorschrift erfüllt. Und dann kommen die Amis, deren Autoindustrie gegen die Deutschen und Franzosen keine Chance hat. Sie müssen sich um die europäischen Testvorschriften nicht kümmern. Und prompt kam heraus, was jedem/r Fachmann/frau ohnehin schon klar war. Die Grenzwerte werden deutlich überschritten. 'Betrug', 'Betrug' hallt es von Übersee herüber. Das war es, was die Amis wollten. Wenn man einen Gegner nicht besiegen kann, muss man seinen Ruf schädigen (der Vollständigkeit halber: Es ging auch um Verbrauchswerte, einer Größe, die im Handbuch des Autos steht, die aber bei keinem, keinem Hersteller dem Alltag gerecht wird, auch bei GM oder Ford nicht. Aber das braucht man ja nicht an die große Glocke zu hängen.)

Und jetzt kommt's ganz dumm: Die Manager der Autoindustrie reagieren ganz, ganz unprofessionell. Sie gestehen ihre Schuld ein und nennen ihre Tricks 'Manipulation', vom marketingpsychologischen ein ganz schlechter Begriff. Auch das muß man differenziert betrachten. Zu tönen, man habe lediglich dafür gesorgt, dass die Testergebnisse stimmen, würde den bekannten Autogegnern nur Wasser auf die Mühlen treiben: Die ganze Politik und die Wirtschaft stecken unter einer Decke, sie erwecken den Anschein, also ob die Autos sauber seien. Dabei sind sie einfach nur eklige Dreckschleudern und so fort.

Ich denke, wir haben ein Problem mit den Menschenmengen, vor allem in den sogenannten Ballungsräumen. Staus und Gestank sind für die Anwohner unerträglich geworden. Es müssen grundsätzliche Änderungen eingeleitet werden. Der Individualverkehr in den Städten muß weniger werden, auf dem Land ist er ja recht problemlos. Dem Menschen die wirklich epochale Erfindung der individuellen Reisefreiheit in einem eigenen Gefährt wegzunehmen, ist für mich keine besonders erfreuliche Idee. Das hieße, das Kind mit dem Bade wegzukippen. Die Städte müssen anders werden, ebenso wie die Nutzung der Hauptschlagadern. Wie, weiß ich jetzt nicht. Aber mit den Abgasnormen ändert man nicht wirklich etwas. Das ist nur etwas Baldrian für nervös gewordenen Menschen, die dann wieder eine Zeit ruhig sind. Bis zum nächsten Skandal. Ich erinnere ans Baumsterben, das Ozonloch und die CO2 - Katastrophe. Alles keine Themen mehr, weil sie in den Medien schon ausgelutscht sind. Ah, wir haben gerade etwas Neues: das Bienensterben. Das ist übrigens wirklich ein lebensbedrohliches Problem. Mit einem Voksbegehren und Gesetzen, die die kleineren Bauern nicht erfüllen können (die Großindustrie hat doch schon wieder die Hand im Spiel), löst man das übrigens nicht. Alle diese Probleme hängen nur damit zusammen, dass zu viele Menschen sich zu wenige Resourcen teilen müssen.

So weit meine persönliche Betrachtung der Dinge. Fällt Ihnen etwas auf? Nein? Ein Mensch, nämlich ich, trägt eine eigene Meinung vor. Er hat sich eingangs als Fachmann autorisiert und hat damit wohl genauere Kenntnisse der Dinge. Dass er in seiner Äußerung wahre Fakten und bloße Meinungen zusammenmischt, ist schwer zu erkennen. Ebenso wie die Tatsache, dass er persönlich etwas gegen die Konzepte der 'Grünen' hat, weil sie ihm freudlos und den Menschen gängelnd vorkommen. Seine persönliche Freiheit zu entscheiden, wie er leben will, geht ihm fast über alles. Das meine ich durchaus nicht nur positiv.

Er verfolgt die Nachrichten und Artikel zu diesem Thema mit großem Interesse. Er fühlt sich bestätigt, wenn Lungenärzte die Gefährlichkeit von NO2 herunterspielen, wenn Kubicky berichtet, dass eine Kerze im Zimmer hundert mal mehr NO2 erzeugt als erlaubt ist, dass die Meßgeräte in Stuttgart völlig blödsinnig aufgestellt sind und Falsches messen, dass die EU die Einhaltung der Grenzwerte den Staaten überlässt, dass die Umwelthilfe in Verdacht gerät, nur aus Eigennutz zu handeln, dass Toyota und andere die Finanzierung der Umwelthilfe gestoppt haben, dass die US - Empörung handfeste Industrieinteressen verfolgt. Er hat Mitleid mit den Managern der Automobilindustrie, die aufgrund des Versagens der Vorstände als Verbrecher zum Bauernopfer gemacht wurden und so fort.

Er nimmt Meldungen zur Kenntnis, dass der Lungenarzt sich verrechnet hat, dass die Manager von den Tricksereien schon lange wussten und alles gedeckt haben, nur um den Verkauf nicht zu behindern, dass sie Technologien haben, die das Problem lösen würden, aber aus Renditegründen nicht einsetzen. Er nimmt das zur Kenntnis, aber er denkt, dass das gezielte Falschmeldungen sind, um den Ruf der Industrie zu schädigen. Kurzum, er findet alle Meldungen, die seine Meinung bestätigen, als gut und richtig. Alle Gegenteiligen lehnt er ab oder hält sie für nicht relevant oder schlicht falsch. Er hatte seine Meinung ja fundiert gebildet und so leicht ändert man das nicht. Schließlich beruht sein ganzes Verhalten und seine liebgewonnenen Gewohnheiten unter anderem auf dieser Meinung.

Wie viel stärker manifestiert sich eine Meinung, wenn es einem schlecht geht und man den Verursacher identifiziert hat. Alle Wut fokussiert sich auf diese Quelle des Ungemachs. Die Folgen kennen wir.

Es gibt einige Namen für dieses Phänomen: Echokammer, Relevanzparadoxon oder die Schweigespirale.

Bei vielen Dingen wundert man sich, dass das 'Volk' nicht aufbegehrt. Grund ist eine Eigenschaft des Menschen, lieber still zu sein, wenn er den Eindruck hat, gegen eine Mehrheitsmeinung zu verstoßen. Diese Schweigespirale führt dazu, dass aggressive Minderheiten den Ton angeben. Das sind Menschen, die ihre Meinungen durchsetzen wollen, koste es was es wolle. Das erklärt, dass angeblich ein Mehrheit für das komplette Rauchverbot in Bayern war. In Wirklichkeit, haben nur 13,5 % am Volksbegehren teilgenommen und davon 60% für das Rauchverbot gestimmt, das sind also rechnerisch gerade mal 8,1%, die dafür waren. Und wer zum Voksbegehren gegangen ist, ist auch klar: Die Gegner des Rauchens. Die Mehrheit schweigt. (Das sagt übrigens nichts darüber aus, ob das Rauchverbot gut oder schlecht ist.)

Das Relevanzparadoxon ist auch sehr einfach zu erklären. Meine Vorlieben entscheiden unbewußt darüber, ob ich eine Nachricht für wichtig oder belanglos halte.

Am schwerwiegendsten aber ist die Echokammer

Sie sorgt dafür, dass mich nur Nachrichten erreichen, die ich hören will und die ich als relevant einschätze. Sie erzeugt für mich das Gefühl, dass die Mehrheit meiner Meinung ist und bestätigt mir laufend, dass ich recht habe. Das wirklich Schlimme daran ist, dass die modernen Medien immer weniger zulassen, dass ich selbst entscheiden kann, ob ich meine Meinung modifizieren oder sogar verlassen will.

Den Anfang hat Google mit seinem Geschäftsmodell gemacht und das von Amazon perfekt genutzt wird. Ich bekomme in fast allen Internetseiten Angebote eingeblendet, die 'mich interessieren könnten'. Das ist richtig gut für die Werbebudgets der Firmen. Keine Streuung der teuren Werbung an alle, sondern gezieltes Anbieten. Und mir erspart es, die Werbung für einen Toilettenreiniger zu sehen.

Das mag ganz nützlich sein für den Kauf von Produkten. Ist das Produkt aber eine Nachricht, so verstärkt es exponentiell den Echokammereffekt. Sie bekommen letztendlich nur noch zu sehen, 'was Sie interessieren könnte'. Und das ist ausgesprochen fatal, wie Sie sich denken können. Es erweckt den Eindruck, als ob andere Meinungen gar nicht existierten . So bilden sich automatisch, basierend auf ihrem digitalen Profil, Gruppen Gleichgesinnter, die alle der Fehleinschätzung unterliegen, sie wären im Besitz des 'richtigen' Wissens.

Bleibt die Frage, was man dagegen tun kann. Einer gewohnten Meinung abzuschwören ist genauso schwer, wie eine dicke Kanonenkugel aus der Bahn zu stoßen. Das erfordert Mechanismen, Energie und vor allem den Wunsch, das auch zu tun. Wenn es darum geht, auf Liebgewonnenes zu verzichten, wird es nahezu unmöglich.

Die Antwort kann nur sein: Bildung. Wissenschaftlich wie menschlich. Es geht um das Verinnerlichen des Geistes der Aufklärung: Jeder hat das Recht, seine eigene Meinung zu haben und nach seinen Vorstellungen zu leben. Wer dieses Recht einzuschränken versucht, den muss man bekämpfen. Das ist der einzige erlaubte Grund. Vielleicht kann man ja irgendwann die modernen Mittel genau dazu benutzen. Das erfordert aber Umsicht, Vorsicht im Umgang mit Informationen und Langatmigkeit. Außerdem sollten wir nicht unterschätzen, dass es den Menschen ausgesprochen schwer fällt, etwas gegen eigene Wünsche nur aus Rücksicht auf andere zu unternehmen. Als es noch weniger Menschen gab, war das viel leichter.

Wäre das leichter gewesen. Hat aber auch nicht geklappt. Der Mensch hinkt einfach genetisch seinen eigenen Erkenntnissen nach. Dumme Lage.

P.S. Über das Internet Menschen finden, die die gleichen Interessen haben, um mit denen zu diskutieren, ist grundsätzlich nichts Verkehrtes. Das ist nur eine Verlagerung des Stammtisches auf lokale Unabhhängigkeit. Am Stammtisch fallen kräftige Worte. Aber es gibt einen ganz wesentlichen Unterschied. 'Dem Hans sollte man mal eine reinhauen', ist unschön, aber man weiß, wer es gesagt hat und es ist auch gleich wieder weg. Aber anonym in Twitter schreiben: ''Hängt xxxx auf'' (ich bin vorsichtig, weil eine KI - Software, die den Kontext nicht berücksichtig, daraus etwas Unangenehmes machen könnte), ist dreifach schlimm. Es bleibt für alle Zeiten stehen, es kommt aus einem sicheren Versteck und es geht gegen jemanden, den man persönlich gar nicht kennt.

Früher hieß ein Erziehungsziel Anstand und Höflichkeit. Und wenn man Christ ist, dann gibt es auch noch das Gebot: 'Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten'. Gar nicht so schlecht, die 'Werte' Europas.