Vom Hören

© 2019 Friedrich Haugg

Reden wir kurz über die Physik und die Evolution. Anders als das Licht (mehr darüber beim Artikel über die Quantenphysik) braucht der Schall ein Medium. Wie das Licht pflanzt er sich, wenn er nicht gestört oder fokussiert wird, kugelförmig von einer Ursache, der Schallquelle, aus. Wiederum anders als das Licht, das Querwellen aussendet, so wie Wasserwellen, erzeugt der Schall sogenannte Längswellen, denn er nutzt eine Eigenschaft des Mediums, im allgemeinen ist das die Luft, sich zusammenpressen zu lassen. Wenn einer einen Knall erzeugt, ist das ein rein mechanischer Vorgang: Er schiebt die Luft ein wenig zusammen und diese Kompression bewegt sich im Raum fort. Diese Fortpflanzungsgeschwindigkeit hängt von der 'Elastizität' des Mediums ab. Bekannterweise ist sie in der luft etwa 330 Meter pro Sekunde. Wenn man ein Gerät hat, das diese Druckveränderung misst (man nennt das Mikrofon) und wenn man diese Druckveränderung nach der Zeit aufträgt (ein solches Gerät heißt Oszilloskop), dann sieht das so aus:

Besteht der Schall aus mehreren Druckveränderungen (zum Beispiel Musik von einem Lautsprecher oder von einem Vögelchen auf dem Baum), dann sieht es grundsätzlich so aus:

Der Schall trifft unsere Ohren, mit einem ganz kleinen Unterschied zwischen links und rechts. Unser Gehirn kann daraus eine äußerst komplexe Information gewinnen: Die räumliche Vorstellung, woher der Schall kommt und wie weit er weg ist. Allein das ist schon eine erstaunliche Leistung, denn eine Vorstellung vom Raum muß dazu in unserem Gehirn abgebildet sein. Mit diesem Thema wollen wir uns hier aber nicht weiter beschäftigen.

Ob der Schall aus dem Wohnzimmer kommt oder von den Wellen des Meeres, also aus einem weiten Raum, können wir erstaunlicherweise auch feststellen ohne hinzusehen. An den Wänden und den Gegenständen des Zimmers wird er vielfach reflektiert und kommt als Gemisch in den Ohren an. Und wieder ist es eine ungeheuere Leistung, dass unser Gehirn daraus Rauminformation macht. Es ist dies ein Lernprozess, der schon beim Baby beginnt und der 'vollautomatisch', das heißt unbewusst abläuft.

Es ist ja einfach nur so, dass sich die Druckwellen, die gegeneinander laufen, verstärken oder abschwächen. Was im Ohr und damit im Gehirn ankommt, ist eine einzige Welle. Nur eine. Ich habe ein paar Beispiele aufgenommen: Hier das Rauschen des Meeres:

Oder ein Orchester:

Und hier ein gesprochenes Wort:

Fällt Ihnen etwas auf? Mit den Augen könnten Sie aus dem Diagramm niemals erkennen, was das für Töne sind und was sie bedeuten. Sie sehen nur, was lauter und leiser ist an der Höhe der Ausschläge.

Jetzt kommt's ganz dick: Die Information über die Stärke des Schalls an einer Stelle würde zur Identifizierung wenig nützen, aber man kann genau sagen, von wo er kommt. Um herauszufinden, was das Signal beinhaltet, muß man wissen mit welcher Abfolge (= Frequenz = Tonhöhe) es ankommt und noch mehr braucht man, um zu wissen, welche Anteile zu dem gesamten Gewurstel beigetragen haben. Die Mathematiker haben dafür ein hoch komplexes System entwickelt, die sogenannte Fourieranalyse. Das Gehirn scheint dafür eine eigene Methode zu haben, die uns erst langsam bekannt wird. Wenn man das Geräusch analysiert, dann 'verschmiert' sich der Ort und die Zeit der Herkunft des Signals. Das Gehirn kommt auf erstaunliche Weise damit zurecht.

Sie werden es nicht bemerkt haben und auch nicht sonderlich aufregend empfinden, was gerade geschildert wurde. Es ist aber aufregend, sehr sogar: Es sagt nämlich aus, dass wir den Ort bzw. den Zeitpunkt eines Geräuschs und seine Frequenzen nicht beides gleichzeitig und genau messen können. Diese ganz normale Tatsache ist eine verständliche Analogie zur berühmten Heisenberg'schen Unschärferelation in der Quantenphysik. Entweder man misst die Frequenz oder den Zeitpunkt, beides zusammen und gleichzeitig geht nicht. Misst man Ort und Zeit genau, ist die Frequenz völlig unbestimmt. Misst man die Frequenz genau, ist Ort und Zeit unbestimmbar.

Kennen Sie Alexa? Ist schon erstaunlich, was da abgeht. Sie oder er oder es erkennt an so einem Signalwust, der aus Ihrem Mund kommt, ganze Wörter und Sätze und reagiert auch noch recht klug darauf. Hier haben die Techniker mit Hilfe von selbslernenden Computern (deep learning) etwas Ungeheueres geschaffen. Jeder Mensch spricht anders, Vokale und Konsonanten sind unterschiedlich, Betonung und Geschwindigkeit auch. Das heißt das Signal aus dem gesprochenen 'Alexa, erzähl mir einen Witz' sieht immer wieder völlig unterschiedlich aus. Die Leistung, die man einem Supercomputer abverlangt, stoßen im Augenblick an die Grenzen des heute Möglichen. Aber immer weiter dringen wir ein in die komplexen Mechanismen, die unser aller Gehirn locker und zumeist problemlos bewältigt.

Um das etwas genauer zu untersuchen, nehmen wir einmal eine andere Diagrammform: Die Musiknoten. Hier eine Fuge von jemandem, den ich persönlich für einen der Größten aller Zeiten halte: Johann Sebastian Bach (neben Einstein natürlich):

Bei der Fuge wird eine bestimmte 'Melodie' in einer anderen Tonlage exakt wiederholt. Es bedarf schon eines gewissen Lernaufwands (und Interesse) das 'herauszuhören'.

Das Stück muß so komponiert sein, dass es zu jedem Zeitpunkt auch gut klingt. Bach beherrscht das meisterhaft. Und wer sich hineinhören will, der wird Gänsehaut bekommen vom Klang und der Raffinesse. An einer Fuge hört man sich nicht ab. Jedes Mal entdeckt man einen neuen Klangzusammenhang und kann nur noch staunen.

Neben der Melodie, der sogenannten 'horizontalen' Struktur und dem Klang (Sound würde man heute sagen), der 'vertikalen' Struktur, gibt es noch ein Element: den 'Rhythmus'. Alles zusammen sorgt für die Gefühle, die ein Musikstück erzeugt. Und genau das können wir nicht mit dem Computer nachempfinden. Genauer: Vielleicht kann das der Computer einmal nachmachen, indem man Gefühle katalogisiert und dann programmiert, aber ob der Computer es selbst empfinden kann, da habe ich meine Zweifel.

Ja, der Rhythmus. Warum machen uns die sogenannten lateinischen Rhythmen (Samba, Rumba, Mambo, Bossa Nova usw.) so an? Wahrscheinlich ist Rhythmus genetisch das Älteste in unserem Gehirn. Das Gehen und Laufen geschieht aufgrund der Bauart unseres Körpers in gleichen Zeitabständen. Dafür haben wir ein ausgeprägtes Empfinden. Manche sagen auch, der Herzrhythmus spielt die wesentliche Rolle. Alle Rhythmen, die etwas schneller sind als der Ruhepuls, die also bei etwa 80 Schlägen pro Sekunde liegen, regen uns an. Darüber hinaus empfänden wir es als unangenehm und hektisch. Aber das ist eine Theorie. Fest steht, dass uns Störungen im Rhythmus, wenn sie geschickt eingestreut werden, aufmerksam machen und sehr anregend wirken. Die Urvölker Afrikas haben mit dieser Kunst begonnen und vor allem im heißblütigen Südamerika wurden sie intensiviert und zu immer raffinierteren Mustern entwickelt.

Wie banal und nervend ist doch dagegen dieser absolut (weil vom präzisen Quarz des Computers erzeugte) gleichmässige Disco bumbumbum Rhythmus. Er prickelt nicht. Genauso wenig wie Marschmusik. Aber er erzeugt, wenn man ihm auf längere Zeit ausgesetzt ist, etwas anderes: Gemeinschaftsgefühl bis zur Ekstase. Menschen fühlen sich stark und unbesiegbar in der Gemeinschaft. Auch das ein sehr altes Gefühl. Mit rhythmischen Kriegsgesängen hat man seine Ängste überwunden.

Musik erzeugt also Gefühle. Eine Komponente davon sind sicher die Erinnerungen an wunderschöne Augenblicke. Deswegen hat jeder so seine Vorlieben, die andere oft gar nicht teilen. Einer meiner Freunde liebt cool jazz, eine Musikrichtung, die mich völlig kalt lässt. Bei mir sind es Jimi Hendrix, die Beatles, die Stones aber auch die Dire Straits oder Queen. Hat mit Jugenderlebnissen zu tun. Aber es sind nicht nur Erinnerungen. Auch, wenn Sie zum ersten Mal etwas hören, erzeugt das Gefühle. Da kann man nichts dagegen tun. Wir sind so von der Evolution geschaffen worden. Der arterhaltende Zweck dieser Eigenschaft erklärt sich nicht so ohne weiteres. Dieser Zweck ist mir auch völlig egal, wenn ich (für meinen Geschmack) gute Musik oder den Rhythmus eines guten Textes (zum Beispiel von Shakespeare) höre. Lachen Sie nicht darüber. Sie haben auch Vorlieben, garantiert.

(Lizenzfrei aus Pixabay.com)


Zum Abschluss noch etwas Negatives: Wenn Sie in der Natur sind und dabei etwas hören, was überhaupt nicht zum Raum und der Umgebung passt, verwirrt das Ihr Gehirn. Es versucht nämlich ständig und unbewusst, Geräusche und Bilder in Einklang zu bringen. Auch, wenn es sehr flexibel ist und irgendwie damit fertig wird, förderlich ist das nicht. Und ich rede jetzt nicht von den Gefahren, die ein Kopfhörer mit sich bringt, weil man einen herannahenden Radfahrer nicht hört. Lassen Sie es. Ein dauernder emotionaler Rausch ist nicht gesund und er läßt sich auch nicht aufrecht erhalten. Unser Gehirn macht aus Musik Emotion, das lässt sich nicht unterdrücken. Aber ein Dauerrausch und ewiges Hochgefühl ist in der Natur des Menschen nicht vorgesehen. Sie können das nicht mit der Brechstange umgehen.

(Lizenzfrei aus Pixabay.com)