Skifahren

© 2021 Friedrich Haugg

Skifahren heute: Unberührte Berggipfel, strahlend weißer Schnee, stahlblauer Himmel, die Sonne, die klare Luft. Es gibt nicht viel schönere Anblicke auf der Welt.

Sündhaft teuer, Menschenmassen am Lift, gefährlich auf den Pisten zwischen Rennfahrern und Anfängern, Alten und kleinen Kindern, verrenkten Snowboardern und richtigen Skifahrern.

Leicht zu lernen für fast jeden, dank perfekter Ausrüstung und glatt gebügelter Pistenautobahnen, die auch dem Nichtkönner atemberaubende Geschwindigkeiten erlauben.

Aber das erklärt noch nicht die Faszination. Ein Versuch:

Die Schwerkraft sorgt zusammen mit der Eigenschaft des Schnees für anstrengungsloses Gleiten mit unnatürlicher Geschwindigkeit. Das hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Fliegen. Und nicht nur Ähnlichkeit. Als geübter Skifahrer kennen Sie das vielleicht. Eine kleine Kuppe im Verlauf der Piste reicht schon. Sie verlieren die Bodenhaftung und fliegen tatsächlich und landen erst viele Meter weiter. Das ist eine Kurzform des schwerelosen Parabelflugs. Der schwerelose Flug, den wir beim Skifahren erahnen und ein bischen erleben, ist das, was uns entrückt, von anderen Erdenwesen unterscheidet und uns unvermeidlich euphorisch stimmt.

Ich habe das Glück, Skifahren beinahe von den Anfängen erlebt zu haben und ich behaupte, früher war es noch viel besser. Das Bild zeigt mich im Alter von 4 Jahren.

Da war einmal die Vorfreude. Heißes Bügeleisen, heißes Wachs, der Duft von Teer und Farbe. Eine geheimes Chemielabor. Dann den Rucksack packen. Leberwurstbrot, Thermoskanne mit Tee und eine Tafel Schokolade. Zum Schluß die Seehundfelle, schön aufgerollt in den Rucksack, Ersatzhandschuhe kein überflüssiger Luxus. Ebenso wie zusätzliche warme Socken.

Dann kann's losgehen. Erst einmal stundenlang bergauf stapfen. Anstrengend. Sobald man den Rhythmus gefunden hatte, das erste Hochgefühl.

Die Abfahrt, das eigentliche Ziel der ganzen Übung am Schluß und leider recht kurz. Am Abend rotgesichtiges, gemütliches Zusammenhocken in der warmen Hütte mit dem duftenden Zirbelholz und dem Holzfeuer. Ohne die Anstrengung ist das leichter zu haben, aber niemals so vergnüglich. Tourengeher kennen das bis heute. Corona hat viele dazu gebracht. Irgendwie ein Vorteil, bei allem Frust.

Man musste das Skifahren erst lernen: Das ist meine Mutter 1935 in Bad Reihenhall.

Schneepflug, Stemmbogen, Stemmschwung, Parallelschwung für Könner.

Die Füße waren untrennbar durch Tiefzug mit der Verlängerung Ski verbunden. Große Hebel, ziemlich schlimme Verletzungen. Gottlob war der Schuh so weich, dass man manchmal auch mit bloßen Socken unverletzt im Schnee landete.

Ausrüstung und Technik verbesserten sich: Toni Seelos erfand das Wedeln, die Schuhe wurden fest und verwindungssteif, Sicherheitsbindungen verhinderten das Schlimmste.

Aber richtig lernen musste man es trotzdem. Die Skier wurden immer länger (meine längsten waren Abfahrtsski von Fritzmeier mit 2,15m Länge), die Pisten immer buckliger. Nichts mehr für Anfänger.

Die Franzosen entwickelten einen eigenen Stil, den Jetschwung. Die Buckel physikalisch optimal nutzen. Eine echte Herausforderung an die Motorik und alle Muskeln. Wunderbar.

Heute hat der typische Pistenfahrer keine wirklich befriedigenden Erlebnisse, sieht man vom Geschwindigkeitsrausch ab. Er kennt auch nur nach Norm präparierten, festen und griffigen Schnee.

Zur Erinnerung, was Schnee eigentlich alles sein kann:

Pulverschnee - wunderbar, wenn er nur ein paar Zentimeter hoch auf einer festen Unterlage liegt.

Firn - ein Genuss, wenn die Sonne warm scheint und es so schön knirscht.

Sulzschnee - das ist Firn, dem es zu warm wurde. Rutscht nicht gut, und kann recht knochenbrecherisch sein.

Neuschnee, wenn es nicht kalt war - nicht so schön, vor allem, wenn er tief ist, sehr anstrengend.

Harsch - gefrorener Frin - rappelt gehörig und ist ziemlich ungefährlich, nicht das reinste Vergnügen.

Bruchharsch - Harsch, dem es unten zu warm wurde. Höchst gefährlich, weil er das Kurve fahren behindert. Kein Spaß, lieber verzichten.

Ganz eklig: Es war warm und wird plötzlich sehr kalt mit Sturm und Schneefall. Windgepresster Schnee und dazwischen Eisplatten. Unangenehm und kein Vergnügen.

Aber das kennen Sie ja alles nicht. Doch, eine Art kennen Sie, den Kunstschnee. Das ist kein Schnee. Es rutscht ganz gut, aber das Gefühl, das Gefühl. Es fehlt einfach.

Das bin ich in meinen besten (Ski-)zeiten. Und sie können glauben, es ist einfach nur wunderbar, trotz der 2,10 m langen Skier. Das schönste ist das Gefühl von motorischer Harmonie beim optimalen Ausnützen des Geländes.

Wenn Sie etwas über die Freude am Skifahren vor fast 100 Jahren erleben wollen, empfehle ich den Band 2 von Zehn gute Jahre: Der Rausch des Fliegens. Er erzählt unter anderem von den Anfängen des Skitourismus in Oberjoch (Hindelang).