Über das Denken

© 2020 Friedrich Haugg

Ich denke viel nach. Um sicher zu gehen, will ich auch wissen, was andere denken. Google. Schön diese neue Vielfalt. Aber viel Blödsinn dabei, natürlich. Da muss man zu unterscheiden wissen. Offensichtlich was Falsches angeclickt. Halt. Das ist gut. Der hat Ahnung. Stimmt genau. Und eine Autorität ist er auch, merkt man beim Lesen.

Das nennt man Echokammer. Ein äußerst gefährliches Syndrom. Bis hin zu abstrusen Verschwörungstheorien.

Kann ich nicht selber denken? Schon, aber nicht nur mit reiner Logik. Denn der Mensch ist ... lassen wir es Kant sagen. Kant, Immanuel, vor 250 Jahren. Sehr überzeugend der Mann, meine Meinung.

Der Mensch jedoch schöpft die Bestimmungsprinzipien seines Willens nicht allein aus Vernunft, er ist kein rein vernünftiges Wesen, sondern ein teilvernünftiges, ein mit einem sinnlich-affizierten Willen ausgestattetes partielles Vernunftwesen.

Das, was außer der Vernunft noch seinen Willen bestimmt, sind nach Kant die Neigungen, Komponenten unserer sinnlichen Veranlagung, die auf dem Gefühl der Lust und Unlust beruhen (Wikipedia).

Aha. Eine Meinung gefällt mir nicht, heißt also, dass sie in mir keine intellektuellen Lustgefühle weckt. Kann gut sein.

Zeit zu hinterfragen, was mein Lustgefühl weckt und was nicht und vor allem, warum das so ist. Und noch wichtiger: Entspricht das wirklich meinen Vorstellungen und habe ich überhaupt eigene?

Er hat schon wieder eine Antwort, der Kant: Die Unmündigkeit. Schärfer heißt das, wir sind konditioniert worden. Wir können nur das mögen, was uns eingepaukt wurde.

Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich ein Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, und so weiter, so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen.

Übersetzt: Habe ich genügend unterhaltende Trash - Formate, Werbung, einen Yoga- oder sonstigen Guru, genügend Vorschläge, wie gesundes Leben geht und App - Überwachung bei meinem Fitness - Training, so brauche ich mich ja nicht selbst bemühen. Ist ja auch gar keine Zeit mehr übrig.

Kant nennt die Unmündigkeit beim Namen:

Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.

Und nun? Eine gute Möglichkeit ist LESEN. Nicht Tweets, sondern ganze Bücher. Von klugen Leuten aus deren Zeit und Gesichtspunkten. Könnte Ihren auf Konsum eingeschränkten Horizont erweitern.

Das Folgende ist von Wilhelm Herschel, einem Astronomen, der z.B. den Uranus entdeckt hat. Er ist 1822(!) gestorben.

'Wer keine Bücher liest, ist ein armseliger Ignorant, dessen Unterhaltung, wenn sie überhaupt so genannt werden kann, weiter nichts ist als ein bedeutungsloses Geschwätz über seine Person, Geschäfte, kleine Leiden und seine Bekannten.'

Konditioniert zum Konsum heißt leider auch, erzogen zur ständigen Unzufriedenheit, sonst funktioniert das mit dem Konsum ja gar nicht. Unzufriedenheit hat aber ein grausiges Potential. Es kann aus friedfertigen, lieben Menschen nörgelnde Besserwisser machen, die andere dauernd maßregeln.

Das habe ich bei Fred Vargas gelesen:

Aus einer großen Unsicherheit wird Verwirrung und Zweifel. Dann kommen die Ratgeber, die uns überzeugen. Und es entwickelt sich Gewissheit. Daraus entsteht Strenge. Gegen sich selbst und andere. Perfektion ist der Ausweg. Ein Gefühl der Unfehlbarkeit entwickelt sich. Die Unduldsamkeit gegenüber anderen wächst und endet in Erbarmungslosigkeit.

Ach ja. Falls von Interesse, meine Lieblingsautoren: Fred Vargas, Andrea Camillieri, Antoine de Saint - Exupéry, Tolkien, Robert Harris. Für Leute mit Freude an der Sprache: Shakespeare, Goethe, Thomas Mann. Und jetzt noch etwas für philosophisch Interessierte: Konrad Lorenz (ja der) und Karl Popper.

Viel Spaß beim Lesen.