Früher war alles besser

© 2020 Friedrich Haugg

Immer wieder frage ich mich: Was ist los mit dieser Welt? All diese Mißgunst und dieses Besserwissen und dieses Maßregeln, im Großen wie im Kleinen.

Zwei Gründe fallen mir ein: Niemand gibt allgemeine, für alle gültige Ziele vor, so wie es früher die Kirche oder später Diktatoren gemacht haben. So hat jeder sein eigenes Weltmodell und meint, es durchsetzen zu müssen. 'Alle Menschen sind gleich' wird falsch verstanden. Das bedeutet nämlich nicht, dass jeder Chef von allen ist. Möchten auch die meisten nicht wirklich sein. Chef sein ist mit viel Verantwortung verbunden, das angenehme Anschaffen ist der geringste Teil der Arbeit.

Der zweite Grund ist versteckter: Es ist die Unzufriedenheit über die Unmündigkeit.

Klingt merkwürdig. Aber Kant hat es gesehen. Ja, richtig. Dieser Kant, Immanuel. Vor 250 Jahren.

Da ist es schwer, mündig zu bleiben. Von einer Gestaltung der Zukunft nach eigenen Wünschen ganz zu schweigen. Alles ist vorgegeben. Sie sind schon findig, die Anbieter, um ihren Umsatz zu erhöhen. Bis ins buchstäblich Letzte sind sie eingedrungen.

Lesen Sie, was Kant zu der Unmündigkeit noch zu sagen hat:

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.

Also kurz mal innehalten und nachdenken. Nachdenken, selber. Das ist heutzutage nicht leicht, zugegeben. Zumal auch folgendes bedacht werden muß (schon wieder er, der Kant):

Eigene Launen und Taten unter diesem Gesichtspunkt zu verstehen, ist der erste Schritt, sich selber besser zu fühlen.

Wenn ihnen das zu kompliziert ist, schauen Sie doch 'Bachelor in paradise' oder GNTM oder DSDS in Ruhe an, aber gehen Sie nicht anderen mit ihrer Mißgunst und ihrem Maßregeln auf den Wecker.

Natürlich war früher nicht alles besser. Eher viel schlechter, insgesamt gesehen. Aber es gab Zeiten, da war eines auf jeden Fall besser: die Zukunft.

Zum Beispiel, als eine Menge technischer Errungenschaften real wurden. Das Auto, das Flugzeug, die Haushaltsgeräte zum Beispiel. Als es deutlich wurde, dass Maschinen die schwere körperliche Arbeit ersetzen würden.

Es war aber nicht nur das. Alle hatten das gleiche Ziel: Ein wunderschönes, abgesichertes Leben in einer wunderbaren Gemeinschaft. Die Sache hatte einen Haken. Der Anführer und geistige Urheber war zwar glaubhaft und sehr konkret, hatte aber andere, völlig gewissenlose, verbrecherische Ziele. Und er hat alle modernen Mittel eingesetzt, sein Volk zu konditionieren. Davon erzählt mein Buch 'Zehn gute Jahre'.

Heute machen wir es solchen Leuten schwer, die Macht zu erlangen. Hoffentlich. Heute werden wir durch eine Reihe von Konzernen zu Konsumjunkies konditioniert. Da ist nicht ein einzelner Anführer. Die Macht resultiert aus einer stillschweigenden Übereinkunft: Der Mensch soll ständig unzufrieden sein. Nur so kauft er immer weiter. Wollte man das ändern, bräche das gesamte Wirtschaftssystem zusammen mit schrecklichen Folgen: Armut, Hunger, Krieg. Das ist leider nicht übertrieben.

Ich habe keine Lösung. Außer, dass wir weiter konsumieren, aber mehr orientiert, an dem, was wir wirklich wollen. Wenn wir das nur wüssten.

Mangels eines geistigen Anführers müssen wir unser Weltbild aus einer unüberschaubaren Vielfalt von Angeboten selbst zusammenschustern. Und daraus dann die gewünschte Zukunft ableiten. Das ist gar nicht mehr so einfach. Und vor allem: Die Anderen machen nicht mit, weil sie sich etwas Eigenes ausgedacht haben.

Kurz innehalten und zurückbesinnen auf das, wovon man schon als Jugendlicher geträumt hat. Als die Zukunft noch richtig gut war. Freies Reisen und Kennenlernen anderer Kulturen zum Beispiel in einem Wohnmobil. Das war so ein Traum. Pustekuchen, geht nicht mehr, ausgeträumt. Ich meine gar nicht die Tatsache, dass diese Dinger sauteuer sind und die anderen Kulturen besser in München als vor Ort zu erleben sind. Es ist überhaupt nicht mehr möglich, damit frei zu reisen. Erst einmal darf man so gut wie nirgends frei übernachten. Eingepfercht in Campingplätze mit unangenehm nahen Nachbarn, zahlt man dafür heute mehr als für eine ordentliche Hotelübernachtung. Und wenn man sich wirklich getraut hatte, frei zu übernachten an einer wunderschönen Stelle, wurde man gnadenlos ausgeraubt. Scheißzeiten.

Also suchen wir neue erstrebenswerte Dinge. Zu den selbsterklärten Innovationen in diesem Jahr gehören etwa eine Toilette mit Sitzheizung und Alexa-Sprachassistent, ein Drucker für temporäre Tattoos, eine Windel, die per App ihre Feuchtigkeit übermittelt. Hahaha. Ich will auch nicht, dass mir eine Software das Autofahren abnimmt, meine Daten an die Versicherung übermittelt, damit diese die Prämien erhöhen kann und ich will auch nicht, dass mir irgendein Automat gesundes Essen ins Haus bestellt. Das ist definitiv nicht mein Traum von der Zukunft.

Irgendwie ist mit dem phantastischen Smartphone die Zukunft zu Ende gegangen. Bis zu einem neuen Wurf. Keine Ahnung, was das sein soll. Das ist das Dilemma.

Was aber immer lohnt, ist sich gegen die ebenfalls konditionierte Verdummung aufzulehnen. Statt seine Zeit mit den miesen Formaten wie 'Bachelor' oder 'Dschungelkamp' kritiklos zu verplempern, empfehle ich das Lesen. Auch wenn's schwer fällt, den bunten, bewegten und lauten Bildern zu entkommen. Bildung würde übrigens auch das Zwischenmenschliche verbessern.

Das Folgende ist von Wilhelm Herschel, einem bedeutenden Astronomen, der wesentliche Entdeckungen, z.B. den Uranus gemacht hat. Er ist 1822 (!) gestorben.

'Wer keine Bücher liest, ist ein armseliger Ignorant, dessen Unterhaltung, wenn sie überhaupt so genannt werden kann, weiter nichts ist als ein bedeutungsloses Geschwätz über seine Person, Geschäfte, kleine Leiden und seine Bekannten.'